Nadja Osterwalder

Unsere Panne und die lange Reparaturzeit haben unsere Planung ziemlich über den Haufen geworfen. Deshalb haben wir uns entschlossen, die neu gewonnene Zeit zu nutzen, um Usbekistan zu erkunden. Und wir sind froh, dass es so gekommen ist, denn es war wunderschön. Usbekistan ist ein Land voller Kultur und Sehenswürdigkeiten im Herzen der Seidenstrasse.

Usbekistan – Reiseziel Nr. 1 an der alten Seidenstrasse

Im Gegensatz zu seinen zentralasiatischen Nachbarn ist Usbekistan als Reiseziel kein exotischer Geheimtipp und die (touristische) Infrastruktur dementsprechend gut ausgebaut. Zwischen den grossen Städten verkehren komfortable Züge mit Schlafkabinen. Das Reisen kommt dem Fliegen mit einer kundenorientierten Fluggesellschaft nahe, auch wenn die Fahrt im Vergleich zu Schweizer Zügen deutlich holpriger war. Auf unserem Ausflug ins Ferghana-Tal wurden uns Tee und Becher mit Fruchtsalat serviert.

Ob die Infrastruktur deshalb so gut ist, weil wir in keinem zentralasiatischen Land mehr Touristen gesehen haben als hier, oder ob sich die Reisenden nur bis nach Usbekistan trauen und nicht in die abenteuerlicheren Nachbarländer, konnte ich nicht herausfinden. Vor diesem Hintergrund ist es allerdings nicht verwunderlich, dass die Einheimischen besser Englisch sprechen als in den bisher besuchten Stan-Ländern. Auch hier war Google Translator unser treuester Reisebegleiter.

«Non, mais Jimmy, regard ça, c’est incroyable!»

Denn anders als die meisten Reisenden waren wir auf uns alleine gestellt, ohne Reiseführer. Der Grossteil der Touristen waren deutlich älter als wir und meist in grösseren Gruppen unterwegs – Sprachfetzen auf Italienisch, Spanisch und Französisch hallten durch die engen Gassen. Doch wenn man die Zeitfenster der Gruppenführungen mied, hatte man die imposanten Sehenswürdigkeiten meist für sich allein.

So erkundeten wir Stadt für Stadt und merkten schnell, dass eine Stadt malerischer ist als die andere. Die Hauptstadt Taschkent mit ihrem geschäftigen Markt; Samarkand mit seinen unzähligen türkisfarbenen Kuppeldächern, die mit dem Himmel um die Wette strahlen; Bukhara, das zwar touristisch ist, aber gleichzeitig wirkt, als sei die Zeit stehen geblieben; und schliesslich Khiva, dessen kleine Altstadt ein einziges Freilichtmuseum ist.

Usbekistan mit dem Camper: Schön, einfach schön

In den letzten Wochen und Monaten waren wir oft an spannenden, aber nicht per se schönen Orten. Im riesigen Kasachstan fuhren wir oft stunden- oder gar tagelang durch die Einöde, bis wir wieder einen landschaftlich reizvollen Fleck erreichten. Ein anderes Beispiel: Jurten in Kirgistan sind für uns Europäer zwar beeindruckend zu sehen, aber in erster Linie funktional und nicht ästhetisch. Die Usbeken hingegen haben einen echten Sinn für Schönheit, den wir vermisst haben. Dieser Mangel an menschengemachter Schönheit fiel uns erst auf, als wir uns zwischen Kunstwerkstätten, geschmückten Hauseingängen und gemütlichen Cafés bewegten. Der Reichtum, der mit dem regen Handel entlang der Seidenstrasse kam, machte es möglich.

Auch die Metrostationen in Taschkent versetzten uns ins Staunen. Das Metroticket für umgerechnet 15 Rappen versteht sich quasi als Museumseintritt in eine künstlerische Unterwelt, die der Moskauer Metro in nichts nachsteht, wie man sagt. Viele Stationen sind liebevoll gestaltet, jede zu einem anderen Thema.

Kaufrausch auf dem Basar

So verbrachten wir unsere Tage mit Stadtführungen, um mehr über die beeindruckenden Bauwerke und ihre Geschichte zu erfahren. Danach erholten wir uns bei würzigem Tee und Nussgebäck. Nicht selten feilschten wir auf dem Markt und kauften schliesslich Seidenprodukte und handgemachte Keramik. Wären wir nicht auf dem Rückweg nach Europa gewesen, hätte Andri mir sicher nicht erlaubt, acht bunte Teller und die dazu passenden Schüsseln zu kaufen. Obwohl unsere Reise noch lange nicht zu Ende ist, freue ich mich schon darauf, sie in unserer nächsten Wohnung einzuweihen – bestimmt auch einmal in Ehren der hiesigen Küche.

«All you need is Plov, da da da daaa, Plov is all you need, Plov is all you need».

Noch eine blaue Moschee?

Die Anekdoten sind spannend, vor allem, weil ich noch nie davon gehört habe. Aber wenn man die Legenden zum dritten Mal hört, packen sie einen nicht mehr so wie beim ersten Mal. Ähnlich erging es uns mit den alten Gebäuden. Vor allem die Moscheen und Madrassen sind prunkvoll verziert, immer in Blau. Letztere sind Schulen, in denen Studierende wohnen und unterrichtet werden – einige sind auf die Wissenschaft des Korans spezialisiert, viele unterrichten allerlei und wieder andere dienen nur der Besichtigung.

«Miss, can we take a picture together?»

Die Zeit ohne Zwischenfälle mit dem Auto tat uns gut, aber auch die herzlichen Menschen liessen uns die Strapazen der letzten Wochen schnell vergessen. In Taschkent und Buchara verbrachten wir fröhliche Stunden bei Wein und Pizza mit alten und neuen Reisefreunden. Die Einheimischen haben wir als sehr nett und neugierig kennengelernt. Viele Mädchen wollten Fotos mit uns machen und ihr Englisch anwenden. Jungs, die vor unserem Van Fussball spielten, fragten uns schüchtern, ob wir ihre Bälle mit unserer Reifenpumpe aufblasen könnten. Und Bauarbeiter jubelten uns dankbar zu, als wir ihnen Kekse von unserem Einkauf mitbrachten.

Strass ist schick

Obwohl Usbekistan auch zur UdSSR gehörte, hat die russische Kultur hier kaum Fuss gefasst. So wird hier zum Beispiel mit dem Lächeln nicht gegeizt. In russisch geprägten Ländern gilt man schnell als dumm, wenn man scheinbar grundlos alles und jeden anlächelt. Freude, wie auch andere Emotionen, zeigt man nur im Kreise seiner engsten Vertrauten. Das habe ich erst im dritten russisch geprägten Land verstanden und nur halbherzig umgesetzt. Umso schöner war die hiesige Herzlichkeit und Farbenpracht. Viele Frauen trugen schillernde Strass-Trainingsanzüge oder bunte Seidentücher. Mindestens ebenso viele zeigten aber ihr dunkles Haar.

Was Seidenfabriken mit Imbissbuden gemeinsam haben

Während unseres Aufenthaltes waren die Baumwollfelder in voller Blüte und wir konnten bei der Ernte von Hand zuschauen. Ausserdem besuchten wir zwei Seidenfabriken, eine in Handarbeit und eine industrielle. Beide zeigten uns den Prozess. Dieser beginnt damit, dass die Seidenraupen mit Maulbeerblättern gefüttert werden. Wenn sie ausgewachsen sind, spinnen sie aus den verdauten Blättern und Speichel einen Kokon. Darin verwandeln sie sich in Motten, die wiederum Eier legen bzw. befruchten. Die Seidenbauern zupfen Tausende dieser Kokons ab und kochen sie mitsamt der Motte aus. Anschliessend wird der Seidenfaden von Hand oder maschinell abgewickelt und der Kokon so Schicht für Schicht entwirrt. So entsteht aus einem Kokon ein bis zu drei Kilometer langer Seidenfaden. Bis zu 30 dieser Fäden ergeben wiederum einen dünnen gesponnenen Faden. Diese werden dann zu Stoffen verwebt. Das Ganze war spannend zu sehen, auch wenn der Gestank in der Fabrik fürchterlich war. Das Auskochen der Seidenwurmkokons riecht nach abgestandenem Öl, in dem Fisch gebraten wurde.

Abschied von Usbekistan?

Eingedeckt mit Seidentüchern, Sightseeing und hunderten von Fotos war es für uns nach knapp drei Wochen an der Zeit weiterzureisen. Unser weiterer Weg sollte uns in den Westen Kasachstans und nach Aserbaidschan führen. Zum ersten Mal auf dieser Reise buchten wir einen Flug: Ziel Baku. Aufgrund der eisigen Temperaturen und des Schnees in Russland (Ende Oktober) entschieden wir uns für eine südlichere Route über Aserbaidschan. Wir schicken Paolo mit einer teuren Fähre über das Kaspische Meer. Wir müssen fliegen, denn die aktuelle Gesetzeslage verbietet Ausländern die Einreise auf dem Landweg.

Die Reise geht weiter – oder doch nicht?

Am Tag vor unserer geplanten Ausreise nach Kasachstan haben wir in Xhiva eine weitere Panne. Bei einer kurzen Fahrt in die Stadt zum Supermarkt blockierte unser Vorderrad plötzlich bei voller Fahrt… Andri vermutete, dass es an der reparierten Kardanwelle lag und wir suchten eine Garage auf. Wir machten kurzen Prozess und liessen sie ausbauen. Tatsächlich war das eine leichte Entscheidung, die uns kein Kopfzerbrechen bescherte. So waren wir wieder einmal mit Zweiradantrieb unterwegs. Trotzdem machte uns das Ganze etwas nervös, denn je weiter wir nach Westen fuhren, desto schlechter wurden die Strassen. Besonders das Stück nach Kasachstan gilt als katastrophal. Es gibt zwar eine neue Strasse, aber die ist seit Jahren im Bau.

Von Wegen…

Von anderen Reisenden hörten wir, dass es doch möglich sei und so versuchten wir es am nächsten Tag. Man kann sich die 300 km lange Strecke so vorstellen: Links eine perfekt asphaltierte Strasse auf einem etwa eineinhalb Meter hohen Sandwall. Rechts davon die alte Strasse, die mehr Schlaglöcher als Asphalt hat und einen zu Schritttempo zwingt. Meistens sieht man die neue Strasse von der alten aus. Dazwischen verlaufen viele Sandpisten. Und in unregelmässigen Abständen führen Sandrampen auf den Damm der neuen Strasse – doch die meisten wurden von den Behörden mit Sandhügeln oder Gräben versperrt.

Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei

Zu unserem Pech wurde am Tag unserer Durchreise tatsächlich ein kurzes Stück der neuen Strasse eingeweiht. Das bedeutete aber nicht, dass Normalsterbliche sie benutzen durften, im Gegenteil. Unzählige Polizisten waren in unregelmässigen Abständen entlang der Strecke postiert und sorgten dafür, dass das von Journalisten und Fernsehteams begleitete Ereignis nicht gestört wurde. Das führte aber nicht dazu, dass alle brav die alte Strasse benutzten, nein. Es wurde ein regelrechtes Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei.

Lucky Luke goes Uzbekistan

Bei jeder Gelegenheit schlichen sich die Einheimischen und auch wir wieder auf die neue Strasse. Die steilen Sandrampen waren für uns ohne 4×4 riskant, aber die Zeitersparnis war enorm. Folglich waren wir den ganzen Tag angespannt und hielten jedes Mal den Atem an, wenn wir wieder mit hohem Tempo eine Rampe hochfuhren. Sobald einem längere Zeit kein Auto mehr entgegenkam, wurde man vorsichtig und hielt Ausschau nach einer Patrouille. Einmaliges Lichthupen von entgegenkommenden Fahrzeugen verstanden wir als «In den nächsten Kilometern musst du runter», wildes Lichthupen signalisierte «Runter und zwar schnell». Klingt nach Wildwest und war auch so. Wir machten nur mit, weil wir schnell merkten, dass es den Polizisten egal war. Solange man nicht direkt vor ihnen durchfahren wollte, sondern 50 Meter vor dem Polizeiauto abfuhr, hatte man keine Konsequenzen zu befürchten. Bei nächster Gelegenheit, meist noch in Sichtweite der Polizisten, konnte man die Strasse wieder wechseln.

Das Lichthupen-ABC

Lichthupen haben hier ohnehin eine grosse Tradition. Die Solidarität unter den Autofahrern in Zentralasien ist enorm. Man beschützt sich gegenseitig vor den bösen Polizisten. In den letzten Monaten haben wir die Lichthupensprache gemeistert. Wenn man im letzten Moment geblitzt wird, ist das Polizeiauto meist in der Kolonne vor einem. Vorsicht also beim Überholen. Wird man von einem Lastwagen geblitzt, lauert das Polizeiauto oft direkt hinter ihm, indem es gefährlich nah auffährt. Diese gegenseitige Hilfe wird stets mit einem diskreten Kopfnicken quittiert. Auch die «Pannenschilder» bei Unfällen oder Pannen haben wir lieben gelernt. Diese stehen immer direkt hinter dem Auto und sind meist sehr kreativ. Von Ölkanistern, Pet-Flaschen, Steinen oder zusammengeknüllten Warnwesten ist alles dabei – nur eben sehr selten Pannendreiecke.

Warme Pelzmützen und das übliche Durcheinander an der Grenze

Vorbei an improvisierten Pannendreiecken erreichten wir ohne weitere Zwischenfälle die Grenze, wo wir von Zollbeamten in warmen Winteruniformen begrüsst wurden. Spätestens jetzt wurde uns klar, dass auch hier der Winter mit grossen Schritten näher rückt. Nicht nur das machte uns bewusst, dass wir schon lange unterwegs sind. Sondern auch dass wir Grenzübertritte, die «nur» 2,5 Stunden dauern, als speditiv empfinden. Das liegt wohl an der Übung, auch wenn es immer noch verwirrende Momente gibt. Zum Beispiel, wenn der Zöllner bei der Ausreise «Welcome to Uzbekistan» sagt.

Usbekistan mit dem Camper: Fazit

Abschliessend lässt sich sagen, dass Usbekistan unglaublich schön ist und ein fantastischer Abschluss unserer Zentralasienzeit war. Die drei Wochen im Land lassen uns die Region nach all den Strapazen in guter Erinnerung behalten. Obschon Kirgistan, Kasachstan und Usbekistan direkte Nachbarn sind, unterscheiden sie sich deutlich. Wir sind froh, den Puls aller drei Länder gespürt zu haben. Tadschikistan und Turkmenistan holen wir irgendwann nach…

Wir fühlten zudem eine unglaubliche Dankbarkeit, nach sechs Wochen des Bangens während der Reparaturen wieder im Van zu sein. Und so fühlte sich selbst das lästige Auffüllen des Wassertanks wie eine freudige Arbeit an. Auch wenn sich unser Paolo nach den vielen Hotel- und Airbnb-Zimmern kurzzeitig eng anfühlte, war er nach einem Tag wieder unser geliebtes Zuhause. Auf zu neuen Abenteuern auf dem Heimweg!