Unser Reisebericht für Armenien beginnt an der türkisch-georgischen Grenze. Zum ersten Mal auf dieser Reise überqueren wir die Grenze nicht gemeinsam. Andri geht zu Fuss und ich fahre den Van. Denn Passagiere dürfen nicht im Fahrzeug bleiben, und da das Auto auf mich zugelassen ist, müssen Mafiat Paolo und ich die Kontrollen alleine passieren. An diesem Tag überqueren wir auch gleich die georgisch-armenische Grenze, die sich als Geduldsprobe erweist. 2,5h dauerten alle Kontrollen der Beamten mit den grössten Offiziersmützen, die ich je gesehen habe, und die vorübergehende Autoeinfuhr. Am frühen Abend war es dann endlich geschafft und wir wollten an einer Wasserquelle unseren Tank auffüllen. Kurz bevor er voll war, spritzte braunes Dreckwasser in unseren Tank und der ohnehin schon lange Tag wurde noch einmal um drei Stunden verlängert: Wasser ablassen, putzen, Putzwasser ablassen, desinfizieren, nachfüllen. Der erste Tag in Armenien war anstrengend.
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Zu Besuch in der schicken Hauptstadt
Auch der zweite Tag begann beschwerlich. Das Bezahlen unseres Parktickets in der Hauptstadt Eriwan gestaltete sich schwierig. So kompliziert, dass zehn (!) Personen involviert waren und es zweieinhalb Stunden dauerte, bis ich in der Bank (!) endlich unser Parkticket lösen konnte. Danach wurde es Gott sei Dank besser.
Eriwan, Yerevan oder Jerewan (???) war ein wichtiger Ort entlang der Seidenstrasse. Die Stadt wurde durch den Handel mit Metallen und Erzen reich. Sie wird auch die rosafarbene Stadt genannt, weil sie sich in einem edlen Gewand aus Taff (rosafarbener Vulkanstein) präsentiert. Auffallend war auch die Sauberkeit der Strassen und Parks, eine wahre Augenweide zur Abwechslung. Die Einheimischen sind auch sehr stylisch gekleidet und ich kam mir in meinen Kleidern, die ich seit fast einem halben Jahr fast täglich trage, etwas schäbig vor. Was auch unangenehm war: Die Einheimischen starren einen eindringlich an und/oder schauen einem lange auf die Füsse. Was seltsam klingt, soll eine Eigenart der Armenier und Armenierinnen sein. Saubere Füsse seien wichtig, genauso wie blitzblanke Autos. Mit beidem können wir nicht punkten.
«Hää? Wolltet ihr schon immer nach Armenien?»
Unser Abstecher nach Armenien ist einer flüchtigen Begegnung mit zwei Radreisenden zu verdanken, denen wir an einem heissen Tag in der Türkei kaltes Wasser angeboten hatten. Mirjam und Mark erzählten uns, dass die Botschaften von China und Russland in Armenien entspannter seien als in Georgien. Denn, Trommelwirbel, wir haben beschlossen, dass unsere Reise nicht «schon» in der Mongolei enden soll, sondern dass wir bis nach Südostasien fahren wollen. Auch wenn die Visabeschaffung einfacher ist als anderswo, scheint die geopolitische Lage des kleinen Landes schwierig zu sein. Das merkten wir auch bei unserer Stadtrundfahrt. Unser Guide erzählte uns, dass die ehemalige Hauptstadt Armeniens am Vansee in der Türkei liege. Das sei aber nirgends zu lesen, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern seien eisig. Eriwan sei bereits die 13. Hauptstadt – entsprechend bewegt ist die Vergangenheit Armeniens. Als der Konflikt auf unserer Tour zum Thema wird, bittet uns unser Stadtführer zusammenzurücken und beginnt plötzlich ganz leise zu sprechen. Immer wieder sei er heimlich gefilmt, ins Internet gestellt und dann angefeindet worden. Beim Völkermord an den Armeniern, den die Schweiz anerkennt, die Türkei und andere Länder aber nicht, sind schätzungsweise dreihunderttausend bis eineinhalb Millionen Armenier umgekommen (je nach Quelle).
Hoch hinaus auf dem Ahzdahak
Von der Hauptstadt Eriwan ging es zum 3Gs Camping, einem von nur drei offiziellen Campingplätzen im Land. 3Gs ist allen Overlandern in Armenien bekannt und wird zum Treffpunkt. Gefunden haben wir dort wirklich ein kleines Paradies. Wir genossen den Luxus einer warmen Dusche, eines Swimmingpools, einer riesigen Küche, einer Waschmaschine sowie Kirschen und Aprikosen direkt vom Baum. Letztere haben in Armenien neben den Granatäpfeln Symbolcharakter. Denn wie wir bei einem späteren Besuch im Weinanbaugebiet Areni erfahren, war die Mission in Zeiten der sowjetischen Planwirtschaft bis Ende 1991 klar. Georgien macht Wein, Armenien Schnaps. Unter anderem aus köstlichen Aprikosen (die besten unseres Lebens! Sorry Walliser!).
Viel Brandy gab es auch beim Grillfest auf dem Campingplatz, das unseren Aufenthalt perfekt abrundete. Am Tag zuvor hatten wir mit deutschen Bekannten vom Campingplatz eine Wanderung auf den Ahzdahak, den dritthöchsten Berg Armeniens, unternommen. Von dort oben blickten wir auf den Sewansee, an dem wir dann zwei ruhige Tage direkt am Ufer verbrachten. Und dahinter sahen wir die Berge, die die Grenze zu Aserbaidschan markieren.
Einen Tag später blickten wir nicht mehr auf den See, sondern standen direkt davor. Die malerische Natur, das spiegelglatte, ruhige Wasser des Seewansees am Morgen und die zwitschernden Vögel strahlten eine unglaubliche Ruhe aus. Doch der Schein trügt. Nie waren wir näher an einem instabilen Gebiet. Denn direkt hinter der Bergkette hinter uns lag Aserbaidschan und etwas weiter südlich Bergkarabach. Über den dortigen Krieg sollten wir wenig später unverhofft mehr erfahren.
Krieg, gute Wünsche und die fast schon lästige Gastfreundschaft
Unsere Armenien-Route führte uns vom Sewansee in den Weinort Areni. Hier wollten wir bei Sonnenuntergang das berühmte Kloster Noravank besuchen, denn dann leuchten die roten Felsen erleuchtet von den letzten Sonnenstrahlen. Doch zwei Weinproben machten uns einen Strich durch die Rechnung, der sich auf jeden Fall gelohnt hat. Die zweite Weinprobe (Momiks Wine Cube) mitten in den Weinbergen war eines unserer Highlights. Und am nächsten Morgen haben wir es dann doch noch zum Kloster geschafft. Auch hier konnten wir eine schöne Tradition beobachten: Als Zeichen dafür, dass sich die Gläubigen niemals von Gott abwenden, gehen die Einheimischen rückwärts aus der Kirche.
Von dort fuhren wir zum Angel’s Canyon, um eine (sehr anstrengende und heisse) Wanderung zu machen. Direkt vor unserem Schlafplatz gab es Quellen mitten in der Natur. Die Ruhe war aber nur von kurzer Dauer, denn die Einheimischen kamen mit ihren Ladas, um zu feiern. Die russischen Exportautos sind allgegenwärtig, erstaunlich geländegängig und oft bis unters Dach mit lauten Boxen beladen. Und so kamen wir nicht umhin, mit den Einheimischen anzustossen. Und so wurde es wieder spät, sehr spät. Als wir uns von der ersten Partygesellschaft verabschiedeten, mussten wir (!) noch an einem zweiten Tisch vorbeischauen und noch ein Bier trinken. So lernten wir Geworg kennen. Ein Berufssoldat, der dreimal in Bergkarabach gekämpft und für einen Schuss ins Knie eine Tapferkeitsmedaille erhalten hatte. Er und seine Kameraden liessen uns erst schlafen, als wir ihm versprachen, ihn und seine Familie am nächsten Tag auf einen Kaffee zu treffen.
«Für meine erste Auslandreise würde ich nach Deutschland fliegen»
Dort erfuhren wir fast beiläufig, dass sie mit vielen anderen Armeniern aus Berg-Karabach fliehen mussten, als Aserbaidschan das Gebiet eroberte. Seine jüngere Schwester erzählt uns, dass sie nicht glaubt, jemals wieder nach Hause zurückkehren zu können. Einmal mehr berühren uns die Erzählungen. Diese Familie, obwohl sie gute Jobs hat, ist so weit weg von unserer Lebenswirklichkeit und doch voller Zufriedenheit und Offenheit. Niemand aus der Familie war jemals im Ausland und wir fühlen uns wieder einmal so privilegiert. Als ich mein Visum für Russland beantragte, wurde ich gefragt, welche Länder ich in den letzten 12 Monaten besucht habe. In meinem Fall waren das unglaubliche 22 Länder. Mehr als viele Menschen in ihrem ganzen Leben besuchen werden. #Wtf.
Russland darf diesen Krieg nicht verlieren
Die Gründe für die gegenwärtigen Spannungen sind vielfältig, wie wir nach und nach erfahren: Die begehrten Ölvorkommen in Aserbaidschan; der Wunsch der Türkei, einen geografischen Korridor zu den türkischsprachigen Stan-Ländern zu schaffen; die Angst Russlands, dass die EU immer weiter in sein Einzugsgebiet vordringt, und, und, und. So verwundert das armenische Sprichwort «Verheirate deine Tochter lieber mit einem einheimischen Schafhirten als mit einem fremden König» nicht. Auch mit den Einheimischen kommt das Thema Politik immer wieder zur Sprache. So erzählte uns Garo, der als Armenier lange in den USA gelebt hat, dass es für Armenien als souveränes Land schlecht aussehe, wenn Russland den Krieg verliere. Mehr noch für die Welt, weil das politische Gleichgewicht aus den Fugen geraten würde. Doch die politische Präsenz Russlands ist gerade jungen Armeniern ein Dorn im Auge, wie uns Arexia, die jüngere Schwester von Major Geworg, erzählt. Sie schätzen die Freiheit. Aber auch sie sagt, dass ihre Mutter und andere Ältere denken, dass zu Sowjetzeiten alles besser war. Das haben wir auf dieser Reise schon so oft gehört, dass es mich gar nicht mehr wundert.
Familie über alles aka «keep trying»
Ähnlich der italienischen Mentalität werden Kinder hier vergöttert und sind die logische Konsequenz jeder Beziehung. So bekam ich von einem Ladenbesitzer auf die Frage, ob Andri und ich noch keine Kinder hätten, die Antwort «keep trying». Was uns in Armenien so gut gefallen hat, war, dass wir auch als Fremde immer wie Familienmitglieder an den Tisch gebeten wurden. Wirklich ausnahmslos, egal wo wir waren: Im touristisch sehr aufregenden Basislager auf dem Berg Ahzdahak, wo wir kostenlos zum Essen und Trinken eingeladen wurden, oder beim Wandern mitten im Wald. Dort trafen wir Victoria, die in einer freiwilligen Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Wanderwege mitarbeitete, mit uns im Camp Tee trank und uns traditionelle Tänze beibrachte. Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch im Zirkus der Brüder Vardanyan, die mit ihrer Dolchakrobatik durch die Talentshows der Welt tourten und nun in Eriwan einen Zirkus betreiben. Bei unserem Besuch feierten sie ihre neue Show und die einfache Frage, ob wir unser Wohnmobil auf dem Zirkusparkplatz stehen lassen dürften, endete mit einer Einladung zur Party mit allen Zirkusartisten nach der Vorstellung. Besonders peinlich war, dass wir die Einladung annahmen, aber nicht wussten, dass die Party erst mit unserer Ankunft als Ehrengäste begann. In der Zwischenzeit schlugen wir uns fast drei Stunden in der Stadt die Bäuche voll und trauten uns dann aus Schweizer Höflichkeit nicht, auf dem Zirkusfest zu sagen, dass wir keinen Hunger mehr hatten. So assen und tranken wir, bis wir fast umkippten.
Einer der letzten Geheimtipps?
Wieder einmal haben wir das Gefühl, dass dies nicht nur eine Frage der Mentalität der Menschen hier ist, sondern auch der Tatsache, dass Armenien als Reiseziel immer noch ein grosses Schattendasein führt. Wie wenig touristisch Armenien ist, zeigte sich bei der Recherche nach relevanten Keywords, die ich in meinen Blogbeitrag einbauen sollte (um bei Suchanfragen auf relevanten Positionen bei Google zu landen). Bei Google werden deutschsprachige Suchbegriffe wie «Armenien Reisebericht», «Reiseroute Armenien» oder ähnliches nur 0-10 mal pro Monat gesucht. Das Land ist also noch ein echter Geheimtipp. Mal sehen, wie lange das noch so bleibt, denn in unseren Herzen hat sich Armenien einen Platz gesichert.
Bonus, wenn du bis hier gelesen hast: In keinem Land haben wir bisher so viele Autos mit fehlenden Stossstangen gesehen. Entsprechend chaotisch kann man sich die Fahrweise der Einheimischen vorstellen. Wir verabschieden uns von Armenien, sagen «shno-ra-ka-lu-tyun» (das wohl komplizierteste Wort für «Danke») und machen nach all den Abenden mit Bier, Wein und Schnapps erst einmal Detox.
Was wir in den anderen besuchten Ländern erlebt haben, kannst du hier im Archiv zu den Camper-Reisen Beiträgen nachlesen. Oder erfahre, welches Fazit wir aus dem Camper Umbau unseres Fiat Ducatos ziehen.
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