Reisebericht: Aserbaidschan mit dem Camper

In Baku stehen historische Gebäude und hochmoderne Bauten an der selben Strasse.

Auf dem Rückweg nach Europa wählten wir die kürzeste Route über Aserbaidschan. Dieses reiche Land ist das grösste der drei Kaukasusländer. Während unserer einwöchigen Camperreise durch Aserbaidschan lernten wir verschiedene Facetten und Ecken des Landes kennen – bis zum Schluss blieb es für uns jedoch nicht ganz greifbar. Lies mehr über unsere Erlebnisse im folgenden Blogeintrag.

Doch zunächst ein wenig zurück. Nachdem wir nach unserer Panne Usbekistan erkundet hatten, reisten wir ein viertes und diesmal wirklich letztes Mal in Kasachstan ein. Die Fahrt durch den Westen bis ans Kaspische Meer war mehr Mittel zum Zweck, um den Fährhafen nach Aserbaidschan zu erreichen. Bis wir plötzlich merkten, wie schön Westkasachstan ist. Spätestens jetzt war klar, dass Kasachstan das Reiseland mit den meisten Überraschungen ist. Durch unsere Panne verbrachten wir schliesslich über zwei Monate im Land – viel länger als geplant. Und diese letzte Woche entschädigte uns definitiv für alle negativen Erlebnisse. Die Steppe rund um Mangystau ist atemberaubend, die Bilder sprechen für sich:

Eine etwas kompliziertere Ausreise

Um Paolos behelfsmässig repariertes Getriebe zu schonen, wählten wir den streckenmässig kürzesten Weg über das Kaspische Meer via Aserbaidschan. Nicht zuletzt aber auch, um der russischen Kälte zu entkommen. Sicherheitsbedenken spielten in dieser Wahl eine untergeordnete Rolle. Diese wären aber, wie die jüngsten Ereignisse im russischen Luftraum gezeigt haben, durchaus berechtigt gewesen. Ganz ohne bürokratische Hürden ging es auch hier nicht. Seit Covid-19 ist die Einreise nach Aserbaidschan auf dem Landweg nicht möglich. Camperreisenden bleibt nur das Fahrzeug gegen eine hohe Gebühr (ca. 500 CHF) zu verschiffen und selbst mit dem Flugzeug nachzureisen. Entsprechend selten wird die Route genutzt und sich darüber ausgetauscht. Und so war der Verlad über das Kaspische Meer ein Abenteuer für sich.

Reine Männersache

Wir standen also am Hafen für die Handelsschifffahrt in Aktau und warteten, bis unser Van zwischen die Lastwagen verladen werden konnte. Es dauerte drei Tage, bis es Paolo endlich auf die Fähre schaffte. Drei- bis viermal am Tag gingen wir zum Hafenmeister und erkundigten uns nach der verbleibenden Wartezeit. Denn unser Flug war gebucht, unser Zeitfenster betrug 3,5 Tage. Schlussendlich wurde es also ziemlich knapp. Da ein solches Unterfangen laut Hafenmeister «nichts für eine Dame wie mich» sei, konnten wir die langwierige Abfertigung immerhin gemeinsam erledigen. Denn normalerweise ist der Hafenbereich nur für den Fahrzeugbesitzer zugänglich, Passagiere müssen draussen bleiben.

Tschüss Paolo, Hallo Flugzeug

Bei der Schlüsselübergabe auf der Fähre begrüsste uns der erste Offizier, Salim. Der Aserbaidschaner war untröstlich, dass keine Touristen mehr mitfahren durften. Nicht zuletzt deshalb sollten wir wohl während unserer Zeit in Aserbaidschan nicht ein einziges ausländisches Auto sehen. In perfektem Englisch erklärte er uns, dass er nun keine Möglichkeit mehr habe, seine Sprachkenntnisse anzuwenden und zu verbessern.

Nach so vielen Monaten einfach einem Fremden die Autoschlüssel zu unserem Zuhause zu geben und Paolo allein zu lassen, war seltsam. Während unser Fiat Ducato in ca. 27 Stunden nach Aserbaidschan gebracht wurde, vertrieben wir uns die Zeit in der kasachischen Öl-Hochburg Aktau und flogen danach nach Baku, die Hauptstadt von Aserbaidschan.

Aserbaidschan mit dem Camper – vor den Toren Europas

In Baku angekommen, machten wir uns direkt auf den Weg zum Hafen, um Paolo in Empfang zu nehmen. Auf den ersten Blick war das Zollerlebnis am Hafen wie überall zuvor. Viele Ämter, die in einer bestimmten Reihenfolge abgeklappert werden mussten, langes Warten und ein verwirrendes (und seitens der Behörden verwirrtes) Hin und Her. Dank der Barmherzigkeit einzelner Beamter, die sich unserer annahmen, verlief die Prozedur einigermassen zügig. Im zentralasiatischen Kontext sprechen wir also von etwa fünf Stunden. Auch in Aserbaidschan war ich die einzige Frau, die sich im Hafenterminal mit den Zollbehörden herumschlug. Und auch hier benutzten die Angestellten statt einer Schneidemaschine ein Lineal, um die Quittungen mit einer ebenso ruckartigen wie routinierten Handbewegung zu halbieren. Ein Relikt aus Sowjetzeiten und ein Detail, das mich wohl mein Leben lang an Zentralasien erinnern wird.

Bald sind wir zuhause

Zwei Dinge fielen uns jedoch auf, die wir bisher noch nirgends gesehen hatten. Beim Betreten des Hafengeländes erhielten wir nicht nur eine Sicherheitsweste, sondern wurden auch aufgefordert, uns ein Video über die Sicherheitsbestimmungen anzusehen. Das zweite Ungewöhnliche waren die Segways im Hafen. Diese modernen Fortbewegungsmittel wurden von Uniformierten für Strecken benutzt, die man auch zu Fuss hätte zurücklegen können. Dies war der erste Hinweis auf den unglaublichen Reichtum, der überall in der Hauptstadt zu spüren war. Darüber sollten wir während unseres Aufenthaltes in Baku noch mehr erfahren. Auch wenn hier vieles vertraut sowjetisch wirkte, spürten wir mit diesen Beobachtungen: Wir kamen Europa näher.

Was Baku und Singapur gemeinsam haben

Die ersten Tage verbrachten wir in der Hauptstadt. Baku ist eine Stadt, die in einer lebensfeindlichen Wüstenumgebung errichtet wurde. Es gibt kein Süsswasser und  im Sommer herrschen Tag und Nacht schweisstreibende Temperaturen. Doch nicht deshalb wird Aserbaidschan auch «Land des Feuers» genannt. Vielmehr rührt der Beiname von den reichen Ölvorkommen und den brennenden Fördertürmen her, die aus dem Boden ragen. Im Jahr 1901 stammte die Hälfte des weltweit geförderten Erdöls aus dieser Region. Die Goldgräberstimmung hatte zur Folge, dass die Bevölkerung zeitweise schneller wuchs als in Metropolen wie London, Paris oder New York.

Sowohl in Kasachstan als auch in Aserbaidschan kein seltener Anblick.

Übernachtung auf dem Formel-1-Circuit

Wir erlebten das heutige Baku als eine Stadt mit einer unglaublich hohen Polizeipräsenz. Es schien unwahrscheinlich, dass all diese Beamten nur wegen der bevorstehenden Klimakonferenz «COP 29» aufgeboten worden waren. Wir hatten das Gefühl, dass der Staatsapparat so viel Geld zur Verfügung hat, dass er einfach nicht weiss, wofür er es sonst ausgeben soll. Nicht zuletzt deswegen passierte es wohl, dass Paolo mitsamt uns beiden im Bett am frühen Morgen um ein Haar abgeschleppt wurde. Aber nicht, weil wir in einem Parkverbot standen, nein. Wo einmal im Jahr Formel-1-Boliden ihre Runden drehen, sollten an diesem Morgen Marathonläufer ihre Bestzeiten laufen. Ohne Hinweistafel wurden kurzerhand alle geparkten Autos entlang der Strecke abgeschleppt.

Louis Vuitton, McDonalds und Läderrach

Ansonsten kann die Stadt als sehr sauber beschrieben werden, mit einer hohen Anzahl an luxuriösen Einkaufszentren. Das Stadtbild ist eine lebhafte Mischung aus hochmodernen und alten Gebäuden, die europäischen Hauptstädten nachempfunden sind. Ähnlich wie Singapur würde ich aber auch Baku attestieren, dass es zwar schön ist, aber es der Stadt der Charakter fehlt. An der Flaniermeile findet man ein kleines Venedig, amerikanische Restaurants oder belgische Schokoladenmanufakturen – die aserbaidschanischen Cafés und Boutiquen sind meist im Keller versteckt. Buchstäblich im Untergrund. Und der ist in Baku tief. Die Stadt gilt als die am tiefsten gelegene Hauptstadt der Welt, mit rund -28M.u.M..

Das Land des Feuers ausserhalb der Städte

Jenseits von Baku fuhren wir an unglaublich vielen breiten Baumalleen vorbei, die direkt aus Rosamunde-Pilcher-Filmen stammen könnten. Die weiten Täler erinnerten uns an das Aostatal im Herbst: Berge und viele Bäume in allen möglichen Herbstfarben. Eingestreut in diese Landschaft waren Bergdörfer, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein schien. So besuchten wir mit Lahic und Sheki zwei hübsche Bergdörfer, die für ihr Kupferhandwerk bekannt sind. An den Ausläufern der alten Seidenstrasse gelegen, wurden die hier gefertigten Kunstwerke weit in die Welt getragen.

Höhepunkt unserer Aserbaidschan Reise mit dem Van

Das absolute Highlight während unseres Aufenthaltes in dem kleinen Land war jedoch ein nächtlicher Ausflug zu den Schlammvulkanen. Man stelle sich Feuerland vor aus Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivenführer. Die 2-4 m hohen Hügel stiessen Gas aus, das den austretenden Schlamm zum Brodeln brachte. Zu meinem Entsetzen und Andris Freude konnten diese Hügel angezündet werden, so dass beachtliche Stichflammen entstanden. Dass dabei manchmal bis zu drei Kilometer hohe Feuersäulen entstehen, sahen wir zum Glück erst am nächsten Tag auf YouTube. Und so grillten wir an diesem Abend fröhlich Marshmallows über den Flammen.

Bis zum Schluss nicht greifbar

All diese Erfahrungen lassen mich Aserbaidschan wirklich als ein Land der Kontraste beschreiben. Was in anderen Ländern für spannende Abwechslung sorgt, hinterliess bei uns eher Fragezeichen, fast schon ein schales Gefühl. Diese Gegensätze lassen sich vielleicht an einigen Beispielen verdeutlichen. In Aserbaidschan wurde die Klimakonferenz «COP 29» ausgetragen. Gleichzeitig scheffelt das Land sein Vermögen mit der Förderung von fossilen Brennstoffen. Weiter ist Aserbaidschan ein säkulares Land mit fast ausschliesslich muslimischer Bevölkerung. Obwohl sich viele stark mit ihrem Glauben identifizieren, geht nur ein Prozent der Muslime jede Woche in die Moschee. Gleichzeitig ist Alkohol ebenso verbreitet wie der Wunsch, dass Frauen abends nur in Begleitung männlicher Verwandter ausgehen. Wiederum führte Aserbaidschan bereits 1919 das Frauenstimmrecht ein. Notabene 78 Jahre vor Appenzell (wobei zu erwähnen ist, dass die Bolschewiken dieses Gesetz bereits 1920 wieder gekippt haben).

Nicht selten scheint das Land zwischen Tradition und Moderne gefangen. Im Vergleich zur Gastfreundschaft, die uns in Armenien wiederfahren ist, wirkten die Menschen hier distanzierter. Vielleicht lag es aber auch nur an den kühleren Temperaturen, die das Leben mehr nach drinnen verlagerten?

Eine komplizierte Familiengeschichte

Immer wieder hatte ich das Gefühl, dass Aserbaidschan seine Rolle noch nicht ganz gefunden hat. Das Land erschien mir wie ein Teenager, der verschiedene Rollen ausprobiert. Manchmal frech, oft trotzig und vor allem noch nicht ganz sicher, wie es auf seine Umwelt wirken will. Vielleicht ist diese Metapher nicht zuletzt auf eine Aussage unseres Stadtführers in Baku zurückzuführen.

Auf die geopolitische Lage des kleinen Landes und die konfliktreichen Beziehungen zu den Nachbarstaaten angesprochen, reagierte er gereizt. Er benutzte eine Familienanalogie, um das Verhältnis zu den Nachbarländern zu beschreiben. So bezeichnete er Russland als missbrauchenden Onkel, Georgien als katholische Ehe, aus der man sich nicht befreien könne, die Türkei als mächtigen Paten (wie im Film «The Godfather»), den Iran als eifersüchtigen Ex und Armenien als verwöhnten Bengel. Keine Spur von historischer Aufklärung, geschweige denn von selbstkritischer Auseinandersetzung mit dem eigenen Anteil an der komplizierten Ausgangslage.

Gezeichnet vom Krieg

Das Thema Krieg und Nachbarschaft schien ein wunder Punkt zu sein. Das merkten wir nicht nur bei dieser Stadtbesichtigung. Wären wir zuerst durch das Hinterland gefahren, hätten wir die vielen Schilder am Strassenrand sehen können, auf denen nicht nur der Präsident stolz gefeiert wird, sondern auch unzählige Soldaten. Fast jedes Dorf schmückte sich mit patriotischen Schildern, auf denen junge Männer abgebildet waren. Manchmal in Uniform, nicht selten mit Fussballtrikot und Maschinengewehr. Nicht immer, aber ab und zu mit einem Todesdatum versehen. Letzteres verriet, dass die Fotos keineswegs nur lange her waren, sondern dass die Männer tatsächlich nur wenig älter geworden waren… Kein Wunder, dass das Thema für die Aserbaidschaner hochemotional ist.

Überraschend war für uns allerdings, wie viel emotionaler man hier auf das Thema reagierte, im Vergleich zu den Menschen in Armenien, mit denen wir über das Thema sprachen. Obwohl die Aserbaidschaner als Sieger aus dem Krieg hervorgingen, schienen sie diesen Triumph nicht wirklich geniessen zu können.

Lohnt sich Aserbaidschan (mit dem Wohnmobil)?

Ohne Frage, das Land ist spannend und es warten schöne Ecken darauf, entdeckt zu werden. Im Vergleich zu Armenien und Georgien hat uns dieses kleine Land am wenigsten begeistert. Obschon die Tourismuswebseite von Aserbaidschan extrem gut aufgebaut ist! Dieses Urteil führen wir nicht zuletzt darauf zurück, dass die Menschen weniger offen waren. Diejenigen, mit denen wir gesprochen haben, wirkten oft sehr verbittert oder engstirnig. Die Landschaft ist eher karg, kein Vergleich zu den malerischen Bergkulissen in Georgien oder der vielfältigen Vegetation in Armenien.

Aber eines muss man sagen: Der aserbaidschanische Wein schmeckt hervorragend – viel besser als der viel berühmtere Wein von nebenan in Georgien. Vier Flaschen warten jetzt in der Schweiz darauf, von uns getrunken zu werden. 🙂 Wir sind froh, dass wir alle drei Länder besucht haben und so einen direkten Vergleich anstellen konnten. Extra (mit dem Camper) nach Aserbaidschan zu reisen, lohnt sich in unseren Augen allerdings weniger – besonders, solange die Einreise mit dem eigenen Fahrzeug so erschwert wird.

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1 Kommentare

Edith Weber 28. Januar 2025 - 8:46
Liebe Nadja und Andrin Ganz herzlichen Dank für die grossartigen Erzählungen in Deiner gewohnt blumigen, wundervollen Wortwahl und Sprache. Ich habe jedenfalls sofort meine alten Erinnerungen präsent, wenn ich von den Übergängen über Grenzen und Zölle von Euch höre. Was ihr erleben durftet ist grossartig! Diese abgelegenen Weiten in Kasachstan und Aserbaidschan zu erleben, mit den Schlammvulkanen und den sonderbaren Zeitzeichen der Evolution ist ein Geschenk des Lebens an Euch! Ich gratuliere Euch von Herzen zu Eurem Mut und Willen durchzuhalten und zu Eurer Neugierde dranzubleiben! Und ich bedanke mich für diese bereichernden und einzigartigen Erzählungen über diese grossmächtige Reise! Bin sehr berührt! Nun wünsche ich Euch eine gute Weiterreise. Bleibt dran! Daaanke! Ganz liebe Grüsse Edith
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