Georgien mit dem Camper zu bereisen ist längst kein Geheimtipp mehr. Zahlreiche Reiserouten und Reiseberichte zeugen von der wachsenden Beliebtheit des Landes. Dementsprechend hoch waren unsere Erwartungen. In zwei unserer drei Wochen im ehemaligen Sowjetstaat bekamen wir zudem Besuch aus der Heimat. Vivienne und Jossi, zwei langjährige Freunde von Nadja begleiteten uns (mit Vivi spielte ich bereits im Kindergarten!). Das und die unberührte Natur waren sehr schön. Was wir erlebt haben und warum uns das Georgienfieber trotzdem nicht gepackt hat, kannst du in den folgenden Abschnitten nachlesen.
Inhaltsübersicht für diesen Blogbeitrag
«Was seid ihr?»
An der armenisch-georgischen Grenze wehte uns neben der georgischen Flagge auch die der Europäischen Union entgegen. Der Zöllner fragte in gebrochenem Englisch, was wir seien. Zuerst wusste ich keine Antwort und zögerte, bis er auf die niedlichste Art und Weise fragte: «Are you a tiny … (Pause zum angestrengten Grübeln) home?» und mich dann anstrahlte, zufrieden, dass ihm das Wort eingefallen war. Unser Auto wollten sie nicht kontrollieren, denn «People from Europe don’t do bad things like this».
Die Hauptstadt Tiflis: Wo die Strassen Geschichten erzählen
Und so machten wir uns nach kurzer Zeit (30min) auf den Weg zu unserem ersten Stopp: der Hauptstadt Tiflis. Und die hat uns wirklich überrascht und gefallen. Sie hat sogar Jerewan als meine Lieblingsstadt auf der bisherigen Reise abgelöst. Tblisi, wie es die Georgier nennen und für uns Deutschsprachige wirklich nicht richtig auszusprechen ist, ist eine künstlerische, charmante Stadt mit einer pulsierenden Bar- und Gastronomieszene. In jeder noch so kleinen Strasse gibt es etwas zu entdecken. Auch hier fallen die zahlreichen Pro-EU-Graffiti und Transparente auf, die das angespannte Verhältnis zum grossen Bruder Russland erahnen lassen. Laut Umfragen befürworten rund 80 Prozent der Bevölkerung den EU-Beitritt, der übrigens seit Jahren auf Eis liegt.
Georgiens wilde Bergwelt…
Nach ein paar Tagen im Land stiessen Freunde aus der Heimat in Tiflis zu uns und wir verliessen die Hauptstadt, um die Natur zu entdecken. Das ist in Georgien bequem und abenteuerlich zugleich. Man kann es sich wie eine wilde Schweiz vorstellen. Denn viele Wege, die bei uns nur Förstern erlaubt wären, sind hier für jedermann zugänglich. Und so fährt man stundenlang in das hinterste, fast verlassene Tal, umgeben von unberührten Bergen. Eine solche Ansammlung von wenigen Häusern in den Bergen war auch Old Omalo, eines meiner absoluten Highlights. Der Abano Pass, der dorthin führt, gilt als eine der gefährlichsten der Welt. Nur kurz nach unserem Besuch verunglückte ein Einheimischer tödlich. Auf der Passhöhe angekommen, tauschten wir uns mit deutschen Overlandern aus, die uns rieten, die weiteren ca. zwei Stunden nicht mehr in Angriff zu nehmen. Im Nachhinein denken wir, es wäre schon irgendwie gegangen… Aber wozu Paolo noch mehr strapazieren? Schliesslich konnten wir einfach zu Vivienne und Jossi in den gemieteten Mitsubishi Pajero steigen konnten.
…hinterlässt Spuren
Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass die georgischen Passstrassen Paolos Offroad-Fähigkeiten auf die Probe stellten und ihn an seine Grenzen brachten. Erst in Kirgisistan sollten wir zudem feststellen, dass die verregnete Rückfahrt auf der ausgewaschenen Steinstrasse zu viel für unser Untersetzungsgetriebe war… Aber dazu in einem späteren Blogeintrag mehr. Ahnungslos genossen wir sowohl die Fahrt nach Mestia als auch die Wanderungen zu den Gletschern und den Koruldi-Seen.
«Mein Bauch ist grösser als deiner»
Die Georgierinnen und Georgier verstehen sich als Bergnation und sind, wie unsere Walliser Bergmenschen, etwas eigen. So sprechen sie oft unbeirrt in ihrer Landessprache weiter, auch wenn man ihnen zu verstehen gibt, dass man absolut nichts versteht, haha. Ich glaube, sie sind weder besonders freundlich noch unfreundlich, aber nach den herzlichen Armenierinnen und Armeniern wirken die Einheimischen hier stets kühl. Ebenfalls lustig: Männer prahlten mehrfach mit ihrem stattlichen Bauchumfang, um uns zu zeigen, wie trinkfest sie sind. Und wer sich von türkischen oder arabischen Händlern belästigt fühlt, ist in Georgien genau richtig. Hier spürt man nichts von einem solchen Geschäftssinn. Kein Wunder also, dass unsere Anfrage nach dem nachträglichen Einbau einer teuren Klimaanlage unbeantwortet blieb.
Fiat-Ersatzteile in Georgien: eine Herausforderung
Auch die Suche nach einer Felge für unseren Ersatzreifen wurde zu einer zweitägigen Odyssee. Ich jedenfalls glaubte nicht mehr an einen Erfolg – im ganzen Land sahen wir nur zwei Fiats und einer davon stand in Nikas Garten. Über viele Umwege fanden wir den Kontakt zu dem Autoteilehändler, und obwohl er uns für eine Felge den Preis von zwei in Rechnung stellte, wurde er zu unserem persönlichen Helden. Denn aus seinem verrosteten Fiat konnten wir noch zig andere Ersatzteile entnehmen und bei uns einpflanzen.
Die Suche nach gutem Wein
Ähnlich hartnäckig waren wir zu viert bei der Suche nach gutem georgischen Wein. Woher stammt das Gerücht, dass die Georgier guten Wein machen? Wir haben auf unserer Mission tief in viele Gläser geschaut und keinen guten Amber (Wein, der mit Schale und Kernen gepresst wird und deshalb eine trübe orange Farbe hat) oder Qvevri-Wein (in traditionellen Tongefässen gekeltert) gefunden. Vielleicht hatten wir auch einfach Pech? Aber nach all diesen Verkostungen wundert mich eine lustige georgische Anekdote weniger: In Tiflis gibt es ein altes Zollhaus, das mit Wein statt mit Wasser gebaut wurde, weil damals die Steuern auf (Trink)wasser höher waren. Da war es günstiger, den Mörtel mit Wein anzurühren.
Georgische Köstlichkeiten
Dafür war die lokale Küche köstlich: Khinkhali (georgische Teigtaschen), deftige Eintöpfe und Khachapuri waren ausgezeichnet. Auch das lokale Frühstück war gut, aber überall das Gleiche und so waren wir nach drei Wochen froh, es hinter uns lassen zu können. Besonders schön, zu viert zu reisen: Kaum ein Essen verging, ohne dass wir mindestens ein Kartenspiel hervorgeholt haben. Dafür haben wir umso weniger Zeit mit den Einheimischen verbracht. Meine Theorie dazu: Je grösser die Reisegruppe, desto weniger Berührungspunkte gibt es mit den Einheimischen.
Abschied in Stepandsminda: Wo die Reise nach Russland beginnt
Unsere letzte Station im Land war die berühmte Dreifaltigkeitskirche bei Stepandsminda, unweit der russischen Grenze und dem einzigen offenen Grenzübergang nach Russland. Die Fahrt dorthin war beschwerlich. Was bei uns auf den Passstrassen langsame holländische Autos mit Wohnwagen sind, sind hier schwere Sattelschlepper auf dem Weg nach Russland… Hier verbrachten wir zwei tolle letzte Tage mit Wandern, einem grossen Abschiedsessen und Getränken, bevor wir uns von unseren Freunden trennten und nach wenig Schlaf um vier Uhr morgens zur Grenze aufbrachen. Vielleicht hat diese kurze Nacht auch dazu beigetragen, dass sich der Tag unglaublich in die Länge zog.
Weshalb wir uns mit 5,5 Stunden Wartezeit glücklich schätzen
Seit der Türkei planen wir standardmässig einen Tag für Grenzübertritte ein. Es gilt die Faustregel: Je unfreundlicher das Verhältnis zwischen zwei Ländern, desto mühsamer der Grenzübertritt. Und das Verhältnis zwischen Georgien und Russland ist angespannt, wenn auch ambivalent. So geniessen beide Nationen visafreie Einreise, obwohl Russland zwei Gebiete auf georgischem Territorium besetzt hält. Bei unserer Ankunft um ca. 4:30 Uhr gab es bereits einen 1,5 km langen Stau. So dauerte es schliesslich 5,5 Stunden bis zur Einreise nach Russland. Was sich nach viel anhört, scheint noch gar nichts zu sein. Wenig später berichtet jemand in einer WhatsApp-Gruppe von 25 Stunden Wartezeit. Über die russischen Grenzübergänge schreibe ich in einem nächsten Post noch ein paar Zeilen, denn sie waren ein Erlebnis für sich.
3 Wochen in Georgien: Fazit
Georgien war schön, aber weder Andri noch ich glauben, dass wir noch zig Mal nach Georgien zurückkehren müssen, bis wir alles gesehen haben, was uns interessiert. Armenien, das im Schatten Georgiens steht, hat uns viel mehr gepackt. Obwohl die Berge nicht mit denen Georgiens mithalten können, waren die Begegnungen viel herzlicher, die Natur abwechslungsreicher und der Wein besser (Reisebericht Armenien zum Vergleich). Nach so vielen Erlebnissen sind wir gespannt, was die nächsten Wochen und Grenzübertritte für uns bereithalten. Bis zum nächsten Blogeintrag und falls du die Zeit bis dahin überbrücken möchtest, findest du im Camper-Reisen Blogarchiv die bisherigen Geschichten aus der Ferne.
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