Reisebericht: Türkei mit dem Camper

Die Türkei ist ein riesiges und besonders abwechslungsreiches Land für eine Camper Reise. Zu Beginn unserer Planung hatten wir die Türkei gar nicht auf dem Schirm. Wir wollten sie sogar auslassen und mit der Fähre von Rumänien aus übersetzen. Aufgrund der vielen positiven Reiseberichte haben wir uns aber anders entschieden und sind mit unserem Camper durch die Türkei gefahren. Insgesamt waren wir drei Wochen unterwegs und das Bild in unseren Köpfen vom Land der All-Inclusive-Bunker und Strände mit hunderten Liegestühlen hat sich grundlegend geändert.

Istanbul: Tor zwischen Europa und Asien

Von Griechenland aus überquerten wir die mit Stacheldraht und bewaffneten Soldaten gesicherte Grenze. Wenig später sind wir im pulsierenden und lauten Istanbul angekommen. Das Fahren in der grössten Stadt Europas ist gewöhnungsbedürftig. Die Beschilderung ist verwirrend und die Fahrer rücksichtslos, die Strassen aber gut. Immerhin wird die Beschilderung nach Istanbul klarer, der Rest bleibt während unseres Aufenthaltes konstant. Dass die Stadt in der Vergangenheit mal Konstantinopel, mal Byzanz und erst später Istanbul hiess, deutet die unglaublich reiche Geschichte des Ortes und verschiedene Herrschaften an.

Tipp: Wer mehr über die Geschichte und Eroberung von Konstantinopel erfahren möchte, sollte auf Netflix unbedingt die spannende Serie «Der Aufstieg von Weltreichen: Das osmanische Reich» (orig. «Rise of Empires: Ottoman») anschauen.

Erste Eindrücke und Überraschungen

Und so ist es nicht verwunderlich, dass die ehemalige Hauptstadt des Römischen und später des Osmanischen Reiches heute ein wahrer ‹Meltingpot› der Kulturen ist. Hier sieht man Türkinnen und Türken mit blauen Augen, roten Haaren oder elfenbeinfarbener Haut. Was sie alle gemeinsam zu haben scheinen? Die grosse Gastfreundschaft und eine kritische Haltung gegenüber der aktuellen Regierung. Istanbul ist sehr westlich geprägt und die Einheimischen sind spürbar erschöpft von der aktuellen Politik und der horrenden Inflation. All das haben wir aber erst nach und nach realisiert. Das erste, was uns im Land aufgefallen ist, waren die vielen Polizeiauto-Attrappen aus Karton. Diese haben zum Teil sogar funktionierende Blaulichter und sollen dafür sorgen, dass man sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält.

Was Fake-Polizeiautos mit der politischen Freiheit im Land zu tun haben

Dass im Land nicht immer alles so ist, wie es scheint, zeigt sich nicht nur bei den falschen Polizeiautos, sondern auch bei den Themen Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Deutlich wurde dies bei einer spannenden Begegnung mit einem jungen türkischen Ehepaar. Kaum an einem kleinen Strand angekommen, luden uns die beiden, ganz der lokalen Gastfreundschaft verpflichtet, zu sich zum Essen ein. Im Gespräch erfuhren wir, dass er als Scharfschütze für die Sicherheit von Staatsangestellten und Politikern arbeitet. Seine Frau war begeistert von unserer Reise und wollte mir auf Instagram folgen. Ich tippte also meinen Profilnamen in ihr Handy und die beiden wechselten ein paar Worte auf Türkisch. Kurz darauf erklärte sie mir verlegen, dass sie mir wegen der Arbeit ihres Mannes doch nicht folgen könne. Er dürfe nicht in den sozialen Medien aktiv sein und ihre Accounts könnten überprüft werden. Verbindungen zu Ausländern seien nicht erwünscht… Krass.

Ein Perspektivenwechsel

Wie auch andere Männer, die wir treffen, ist er sehr politisch interessiert. Ich bin ausnahmsweise froh, dass ich mich als Frau bei diesem Thema erwartungsgemäss aus der Verantwortung stehlen kann. Immer wieder haben wir den Eindruck, dass sich die Türken in der internationalen politischen Arena nicht ernst genommen fühlen. Und spätestens in Armenien wird uns dann klar, dass wir, geprägt von unseren westlichen Medien, die Wichtigkeit der Türkei als militärischen Akteur unterschätzt haben. Auch wenn uns in verschiedenen politischen Gesprächen manche Sichtweise fremd war, öffnet ein solcher Austausch den Blick für andere Weltsichten. Und das schätzen wir.

«Ihr werdet in der Hölle braten, ich hoffe ihr sterbt als Muslime»

Ähnliches erlebten wir bei einer Begegnung weit im Osten des Landes, zwischen Antalya und Kappadokien. Dort gibt es zahlreiche Höhlenstädte, die als temperierte Vorratskammern oder als ganze unterirdische Siedlungen während Belagerungen genutzt wurden. Bei einer dieser Stätten trafen wir einen alten Mann mit seinen Söhnen, die etwa in unserem Alter waren. Auch hier drifteten wir für unser schweizerisches Verständnis viel zu schnell in das Tabuthema «Religion» ab. Dass wir Deisten sind und es uns herzlich egal ist, ob jemand an Allah, Gott oder das Spaghettimonster glaubt, ist für ihn nicht greifbar. Zeitweise wird das Gespräch hitzig. Aber in erster Linie wünscht er sich für uns, dass auch wir zum Islam konvertieren, um nicht in der Hölle zu leiden. Dass Andri ein Buch über den Islam liest, freut ihn. Obwohl die überwiegende Mehrheit der Einheimischen dem Islam angehören, praktiziert nur etwa 20-50% der Muslime die Religion aktiv (die Aussagen variierten). Wie in der Schweiz rücke die Religion aber immer mehr in den Hintergrund. Je nach Landesteil sieht man kaum Frauen mit Kopftüchern (primär im Westen oder im Süden) oder praktisch nur. Das hat mich erstaunt.

Das geplatzte Date – Sinnbild für die türkische Gastfreundschaft

Wir hatten aber auch Begegnungen der heiteren Art auf dieser Reise. Nach einem weiteren Tag unter Tage in einer Höhlenstadt (ja, Andri wollte wirklich immer jede Höhle von innen sehen) trafen wir Ahmed in Kappadokien. Naja, eigentlich habe ich ihn getroffen, als ich Andri kurz mit dem Auto allein gelassen habe, um zu Fuss einen Stellplatz zu erkunden. Wir haben uns kurz unterhalten und er hat mir erzählt, dass er Ballonpilot ist. Ich erzählte ihm, dass ich mit meinem Freund und unserem Van hier sei, bla bla, solche Gespräche verlaufen immer ziemlich ähnlich. Bevor er ging, fragte er mich noch, ob ich lieber Weiss- oder Rotwein trinke. Ungefähr eine Stunde später, Andri und ich tranken gerade ein Sonnenuntergangsbier, kam er mit einer Flasche Rotwein, Abendessen für zwei und Ohrringen für mich zurück. Dass ich in unserem Gespräch meinen Freund erwähnte, muss er wohl überhört haben, haha. Aber er liess sich nichts anmerken und wir hatten trotzdem ein lustiges Abendessen zu dritt mit viel Wein und Bier. Das machte das Aufstehen um 4 Uhr am nächsten Morgen zwar schwierig, aber für die über 150 Ballone am Himmel dennoch lohnend.

Von Teepausen und Touristenpreisen

Auch die ausgeprägte Teekultur wird uns in guter Erinnerung bleiben. Ständig und überall wird er in kleinen Gläsern angeboten. Das ist nicht nur eine schöne Geste, sondern oft auch der Türöffner für ein nettes Gespräch. Von der kühlenden Wirkung des Tees profitieren wir bei den hohen Temperaturen im Süden. Die Hitze begleitet uns beim Besuch von Kaunos Königsräbern, beim Grillieren auf dem brennenden Berg Chimaera, am Strand von Fethiye und in Antalya, wo wir unser Auto reparieren liessen. Sechs Tage verbrachten wir hier im Hotel mit Pool, dem TCS sei dank. Ob wir in der Autowerkstatt zu viel bezahlt haben, werden wir wohl nie erfahren. Aber das Gefühl wird man vielerorts im Land nicht los. Vielleicht liegt es daran, dass die Türkei teurer ist als erwartet. Dabei sagen wir uns schon lange: «Ab XYZ brauchen wir weniger Geld.» Tatsache ist aber, dass die Eintrittspreise für Touristen zum Teil sechsmal so hoch sind wie für Einheimische, so z.B. der Eintritt in die Hagia Sofia (25.- pro Person für Reisende). Die einst grösste Kirche der Welt und heutige Moschee wurde übrigens in nur 5 Jahren und 10 Monaten gebaut.

Rascher Wandel und alte Werte

Mitverantwortlich für die hohen Preise ist aber auch die hohe Inflation: Innerhalb von 2 Jahren ist alles um ein Vielfaches teurer geworden. Entspricht 1 CHF heute etwa 36 Lira, so war es vor zwei Jahren nur etwa die Hälfte. Das merkten wir auch oft, wenn wir Restaurants googelten: «Wow, super günstig! Oh, doch nicht, das ist ein Foto des Menüs von vor zwei Jahren…»

Atatürk: Der Gegenspieler von Erdogan?

Stichwort Fotos: Entgegen unserer Erwartung lächelt uns Erdogans Gesicht nur in einer einzigen Stadt im Nordosten des Landes von Plakaten und Bannern entgegen. Viel präsenter auf unserer Reise ist der Nationalheld Atatürk, der Gründer der Republik Türkei. Gleichzeitig war er 1923 nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches und dem Ersten Weltkrieg der erste Präsident der Türkei. Er war es, der viele moderne, westliche Werte etablierte. Zum Beispiel die Gleichberechtigung der Frau, die Abschaffung des Kopftuchs oder die Trennung von Staat und Religion. Und so fragen wir uns auf dieser Reise mehr als einmal: Ärgert das den Pilzkopf, wie ihn unser Reiseführer in Istanbul nannte?

Fazit von drei Wochen Van-Reise in der Türkei

Wir haben die Türkei als ein unglaublich schönes Land voller Naturschätze und netter Menschen kennengelernt und festgestellt, dass das Land viel mehr zu bieten hat als das Bild von Hotelbunkern und Sonnenschirmen am Strand in unseren Köpfen. Unser Besuch hat einige Fragen aufgeworfen, aber auch viele Fragezeichen beseitigt. Und so verlassen wir das Land mit einem besseren Verständnis für die dortige Kultur und Denkweise. Die Türkinnen und Türken bleiben uns als gastfreundliche und neugierige Menschen in Erinnerung und wir freuen uns über die schönen Campingerlebnisse in der Türkei.

Lies auch den , wo wir vorhin waren. Oder erfahre mehr zu unseren Camping Abenteuern in Bulgarien.

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