Eigentlich wollten wir nur zwei, drei Tage in Bulgarien bleiben und dann mit unserem Camper über Nordmazedonien nach Albanien weiterfahren. Aber Land und Leute gefielen uns so gut, dass wir eine Woche blieben, solange unsere Vignette gültig war. Das heutige Bulgarien scheint viel Ähnlichkeit mit dem Rumänien von vor 10 Jahren zu haben – vieles, was wir von Andris Vater über das Land gehört hatten, war nicht mehr unbedingt so, traf aber auf Bulgarien zu. Zum Beispiel der Zustand der Strassen, der vielerorts immer noch ziemlich schlecht ist, oder die vielen alten Autos, die vor 20 Jahren noch auf den Wegen Westeuropas unterwegs waren. Völlig überraschend war für uns jedoch, dass Strassenschilder, Speisekarten oder Anschriften plötzlich (teilweise) nur noch in kyrillischer Schrift zu finden waren. Die 33-Zeichen-Sprache, die uns auf unserer weiteren Reise noch viel begleiten wird, hat ihren Ursprung übrigens nicht in Russland, sondern im 10. Jahrhundert in Bulgarien.
Von der alten zur neuen Hauptstadt
Unsere erste Station im Land war die ehemalige Hauptstadt Weliko Tarnowo. Das malerische Bergstädtchen ist von einem naturbelassenen Fluss umgeben und besticht durch seinen verschlafenen Charme und ein imposantes Denkmal. Von dort ging es mit einem kurzen Zwischenstopp in einer Schlucht in die heutige Hauptstadt Sofia. Hier erhielten wir dank zweier toller Tourismusinitiativen spannende Einblicke in die bulgarische Kultur:
Das Schwarze Meer: Treffpunkt von Ost- und Westdeutschen zu Mauerzeiten und weitere spannende Informationen über den Kommunismus
In einem gewöhnlichen Wohnblock besuchten wir das interaktive Museum » The Red Flat Sofia» – das Innere der Wohnung ist den 80er Jahren nachempfunden und zeigt, wie eine bulgarische Familie zu Zeiten des Kommunismus gelebt hat. Besucher können in originalen Fotoalben blättern und den Erzählungen des Audioguides lauschen.
Warum Schweinefleisch am weitesten verbreitet ist und andere kulinarische Fakten
Mehr über die kulinarische Seite der Region erfuhren wir anschliessend bei einer kostenlosen Food Walking Tour. «Balkan Bites» bietet seit 2013 nach eigenen Angaben die weltweit erste quasi kostenlose Häppchentour an, bei der man in fünf Restaurants lokale Spezialitäten probieren kann. Am Ende zahlt man, was man mag. Warum übrigens kaum jemand von bulgarischer Küche spricht? In der Vergangenheit wurde der Balkan von Nomadenvölkern besiedelt, die ihre Essgewohnheiten in der ganzen Region verbreiteten. Diese wiederum wurden durch die Herrschaft von Grossmächten wie den Osmanen oder den Römern vereinheitlicht. Wir haben nicht nur leckere lokale Gerichte probiert, sondern zum Beispiel auch gelernt, dass Schwein die häufigste Fleischart im Balkan ist, weil es von den muslimischen Osmanen nicht geplündert wurde. Oder dass Balkan Tours, die einzige Tourismusorganisation des Landes während des Kommunismus, die Speisekarten aller Restaurants vereinheitlichen liess. Das hatte zur Folge, dass vorübergehend nur noch 12 Gerichte angeboten wurden, eines für jede Region Bulgariens. Deshalb findet man auch heute noch Gerichte mit genauen Mengenangaben auf der Speisekarte (50gr Mehl, 100gr Milch etc.).
Was haben das Nationalgetränk Rakia und das teuerste Rosenöl gemeinsam?
Beim traditionellen Rosenfestival in Kazanlak erfuhren wir Spannendes über das lokale Gold, wie das Rosenöl genannt wird. Je nach Sorte werden für 1 kg Rosenöl drei bis fünf Tonnen Rosenblätter benötigt. In einem ersten Arbeitsschritt wird Rosenwasser hergestellt, das wiederum destilliert wird und aus dem dann das kostbare Öl gewonnen wird. Das Destillationsverfahren ist dasselbe wie beim Nationalgetränk Rakia, das in Bulgarien gefühlt jeder selbst herstellt. So tranken wir mit einem Bauern in der Nähe von Rila, auf dessen Feld wir übernachteten, ein Glas selbstgebrannten Rakia aus einer alten PET-Flasche. Er versicherte uns, dass er den besten Schnaps von allen mache, wie auch die anderen Bulgaren, mit denen wir darüber sprachen. Alle haben ihr eigenes Rezept und brauen den Fruchtlikör oft in alten Fässern im Garten oder Keller. Einige scheinen auch genauso professionell zu sein, wie ihre Ausrüstung vermuten lässt. Laut unserem Führer in Sofia erblinden jedes Jahr mehrere Menschen durch Methanolvergiftungen, was Anlass für viele Witze ist.
Bulgarien: Land der Gastfreundschaft
Was wir von der Natur gesehen haben, war schön – aber es waren vor allem die vielen Begegnungen mit den herzlichen Einheimischen, die unsere Zeit in Bulgarien zu etwas ganz Besonderem gemacht haben. Janosch klopfte morgens in Weliko Tarnowo an unseren Bus und fragte nach ausländischen Münzen für seinen Sohn, der diese leidenschaftlich sammelt. Er gab uns Tipps für die Weiterfahrt (z.B. die Schlucht, in der Andri badete) und schenkte uns selbstgemachte Armbänder. Oder als wir ins «Tal der Rosen» fuhren, das von Ende Mai bis Mitte Juni vom betörenden Duft der Rosen erfüllt ist. Spoiler: Da haben die Marketingverantwortlichen der Region etwas übertrieben, aber die traditionellen Feste waren wunderschön. Auch hier wurden wir als einige der wenigen Touristen herzlich empfangen: Auf einem Rosenfeld, wo die uralte Tradition des Rosenpflückens und -verarbeitens erklärt wurde, lernten wir den Bürgermeister des kleinen Dorfes Rozovo kennen. Er lud uns gleich zu sich nach Hause zum Grillen ein. Zusammen mit Venci, seiner Frau Stela, Gregory und seinen Nachbarn, die spontan dazukamen, verbrachten wir einen fröhlichen Abend – typisch Balkan, natürlich in Trainingshosen. Damit nicht genug, Gregory plünderte seinen Gemüsegarten und seine Vorratskammer und beschenkte uns grosszügig.
Unser überraschendes Debüt auf YouTube
In Erinnerung bleiben wird uns auch die Nacht am Busludscha-Monument auf über 1400 Metern Höhe. Das runde Gebäude wurde von der kommunistischen Partei Bulgariens wenige Jahre vor dem Zusammenbruch des Sozialismus in Auftrag gegeben und erinnert aufgrund seiner Form an ein Ufo. Einst diente es als Versammlungsort für gleichgesinnte Politiker, später als Museum. Heute ist es völlig verwaist und nur noch von aussen zu besichtigen. Aufgrund seiner geografischen Lage haben wir es nicht nur schon von weitem gesehen, sondern konnten von dort oben auch einen herrlichen Sonnenuntergang und -aufgang bewundern. Letzterer war besonders spektakulär, da ein ukrainischer DJ live für seinen YouTube-Kanal auflegte und wir die einzigen überraschten Fans vor Ort waren. PS: Im Stream sieht man uns im Hintergrund. Zählt das als Auftritt in einem Musikvideo?
Lies in diesem Blogbeitrag, wie unsere Zeit in Rumänien war und was es mit Bären und hohen Mauern auf sich hat.
Danach waren wir kurz in Nordmazedonien, weshalb wir uns dort nicht wohlgefült haben und gleich weitergefahren sind, kannst du im Camper-Reisebericht zu Nordmazedonien nachlesen.