Kambodscha ist klein, doch das asiatische Land strotzt nur so von Aktivitäten und Orten, die darauf warten, von Reisenden entdeckt zu werden. Beeindruckende Tempel, frischer Pfeffer, Häuser auf Stelzen und eine bewegende Geschichte: Ein persönlicher Rückblick auf unsere Backpacking-Reise in Kambodscha voller Kontraste, Begegnungen und einem Gefühl, das nur schwer in Worte zu fassen ist.
Endlich wieder Besuch – und endlich wieder Parmesan
Nach Vivienne und Jossi empfingen wir in Kambodscha zum zweiten Mal auf unserer Reise Besuch aus Europa. Bruno reiste aus Portugal an und Marius aus der Heimat. Wir freuten uns sehr über den richtigen Parmesan, Salami, Gebäck und Schokolade, die sie uns mitbrachten. Bei der Begrüssung merkten wir, dass wir schon lange unterwegs waren… Denn Andri rannte stürmisch auf Marius zu, um ihn in die Arme zu schliessen – nur um kurz darauf unter unserem schallenden Gelächter zu merken, dass er nicht Marius, sondern fälschlicherweise einen wildfremden Mann umarmt hatte, der zugegebenermassen ein wenig Ähnlichkeit mit ihm hatte.
Backpacken in Kambodscha: Vielfalt auf allen Ebenen
Wir waren zu viert rund zwei Wochen in Kambodscha unterwegs. Das Land gefiel mir auf Anhieb, weil hier die unterschiedlichsten Menschen zusammenkamen. Da war zum Beispiel eine junge Männergruppe, die um 10.37 Uhr ihre erste Runde Bier auf Poolhockern im Wasser bestellte. Hinter ihnen im Wasser spielte ein etwa fünfjähriges Mädchen unschuldig mit farbigen Bällen von der letzten Poolparty. Am Beckenrand sonnten sich wiederum zwei braungebrannte französische Rentner. Diese Diversität unter Reisenden war im ganzen Land spürbar, besonders aber in der Stadt Siem Reap, die nicht weit von der berühmten Tempelanlage Angkor Wat entfernt liegt.
Dorthin wo der Pfeffer wächst
Ein ähnliches Sammelsurium an Ungleichem repräsentieren auch die verschiedenen Aktivitäten, die das Land zu bieten hat. Hinter vielen Angeboten stehen Expats aus dem Westen. Ein Beispiel ist die nachhaltige Pfefferfarm „La Plantation”. Auf 50 Hektar wachsen hier Pfeffer, exotische Früchte und verschiedenste Gewürze. Bei unserem Besuch haben wir unter anderem gelernt, dass roter, schwarzer und grüner Pfeffer von derselben Pflanze stammen und sich lediglich im Reifegrad unterscheiden. Bei der anschliessenden Verkostung der ca. 20 Pfefferprodukte (geräuchert, gesalzen, roh, getrocknet usw.) wurde uns die Vielfalt dieses Alltagsprodukts erst so richtig bewusst. Wann hast du dir das letzte Mal Zeit genommen, um einem so alltäglichen Produkt Aufmerksamkeit zu schenken?
Von Tarot bis …
Andri und ich sind schon so lange gemeinsam auf Reisen, dass ich die Aktivitäten für ein Land theoretisch ohne Rücksprache mit ihm organisieren kann und genau weiss, was er machen möchte (meist ziemlich genau das, was ich auch alleine machen würde – für ihn werfe ich dann, wenn verfügbar, einen Kinobesuch, indisches Essen oder eine Flugzeug- oder Technologie-Attraktion in den Mix). Mit Bruno und Marius hatten plötzlich zwei mehr ein Mitspracherecht. Und das war richtig cool. Zu Beginn sprachen wir mehr als Witz jedem von uns eine „Wildcard” zu – eine Wahlaktivität, bei der alle mitmachen mussten, ohne Widerrede. Andri schleppte uns zu einer schrecklichen Stand-up-Comedy-Show und mit meiner liessen wir uns an einem Yoga-Festival Tarotkarten legen.

… Kun Khmer und Stelzenhäuser
Bruno nutzte seine Wildcard, um einen Kun-Khmer-Kampf zu besuchen. Diese aus Kambodscha stammende Kampfsportart ähnelt dem Muay Thai. Zeitweise waren die 1:1-Runden sehr brutal, doch das ansonsten ziemlich verhaltene Publikum regte sich nur selten. Dafür war der Moderator umso lebhafter. Diese Überdrehtheit war nicht nur seinem Charakter geschuldet. Nach dem Kampf sahen wir zufällig, wie er sich mitten in einem Restaurant eine Linie Koks zog. Einige Tage zuvor unternahmen wir einen Rollerausflug in ein auf Stelzen gebautes Dorf. Während unseres Besuchs sahen wir die von Staub und Dreck umgebenen Häuser auf hohen Holzpfählen. In der Monsunzeit flutet der viele Regen die gigantische Ebene und lässt den Wasserpegel von 0 auf bis zu 4,5 Meter ansteigen.
Angkor Wat: Steingeschichten mit Fragezeichen
Ein Besuch in Kambodscha wäre natürlich nicht vollständig ohne einen Besuch in Angkor Wat – einem der sieben Weltwunder. Auf einer Fläche von über 162 Hektar liessen unterschiedliche Könige mehr als 100 Tempelanlagen errichten. Einige davon sind bis heute in Betrieb. Andere sind zu beeindruckenden Ruinen verkommen, an denen die mehrfachen Wechsel vom Hinduismus zum Buddhismus erkennbar sind. Dennoch ist über die Kultur und Bauweise von Angkor Wat nicht so viel bekannt wie beispielsweise über die Ruinen der Maya. Es ist schlichtweg weniger überliefert. So kommentierte unser Guide mit leiser, peinlich berührter Stimme ein Wandbild aus Stein: „In dieser Szene sehen wir, wie Essen serviert oder geopfert wird. Wir wissen nicht, was für Essen, denn das Ornament ist aus grobem Stein und daher nicht eindeutig, was die runden Formen auf den Tellern darstellen…“. Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen.
Hero Rats: Spürnasen im Dienst der Sicherheit
Nicht weniger eindrücklich war unser Besuch im Trainingszentrum der Apopo-Minenratten. Zu sagen, ich war fasziniert, wäre eine Untertreibung. Die sogenannten Heldenratten werden bei der Identifizierung von nicht explodierten Sprengsätzen eingesetzt. Wir lernten, dass Spürhunde und Ratten eine hundertprozentige Erfolgsrate haben, Ratten jedoch günstiger in der Ausbildung und im Unterhalt sind. Genau genommen kostet das Training einer dieser Ratten 6000 USD. Dabei lernen sie, auf Kleinstmengen – wir sprechen hier von einem Billionstel (!) Gramm – TNT zu reagieren und an der besagten Stelle zu scharren. Dieses Verhalten wird von den Betreuern belohnt. So lässt sich die Fläche eines ganzen Tennisfeldes in nur 30 Minuten absuchen. Mit Metalldetektoren würde die gleiche Arbeit vier Tage dauern. Ist die Erde jedoch metallisch, sind Detektoren nutzlos.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Unsere gut belesene Führerin erzählte auch, dass die von Natur aus nachtaktiven afrikanischen Riesenratten mit fellfreien Ohren und langem Schwanz mit Sonnencreme geschützt und in klimatisierten Käfigen transportiert werden müssen. Mit jedem Satz merkte man mehr, wie sehr ihr (und allen anderen Mitarbeitenden) die feinen Spürnasen am Herzen lagen und wie begeistert sie von ihnen waren. Von ihnen müssen die Tierführer bei Apopo allemal überzeugt sein. Denn erst nachdem das Team selbst über das besagte Feld gelaufen ist, wird das Landstück final freigegeben. Die Ratten würden die Sprengsätze mit ihrem bescheidenen Gewicht nämlich nicht auslösen können.

Eine erschreckende Bilanz
Auf diese Weise hat das Apopo-Team seit 1992 bereits 590’000 gefährliche Objekte gefunden. Das ist zwar beeindruckend, doch ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Experten schätzen, dass sich rund sechs Millionen nicht explodierte Landminen in Kambodscha befinden. Bedenkt man, dass die Entfernung jeder einzelnen zwischen 300 und 1000 $ kostet, ist das Unterfangen nicht nur zeitaufwändig, sondern auch kostspielig. In der Herstellung sind sie mit 3-75 $ pro Stück erschreckend günstig. Und so haben die zu spät entdeckten bzw. entschärften Landminen bereits 19’000 Menschenleben gefordert und weitere 51’000 Menschen verletzt.
Warum sind die Minenratten überhaupt im Einsatz in Kambodscha?
Die meisten Minen stammen aus der Zeit des Genozids unter den Khmer Rouge. Nicht zuletzt deshalb ist mehr als die Hälfte der kambodschanischen Bevölkerung unter 30 Jahre alt. Der Genozid war die Folge der kolonialen Vergangenheit, ideologischer Radikalisierung und der zerstörerischen Auswirkungen des Vietnamkriegs. Dieser Artikel fasst den Kontext des Genozids der Khmer Rouge in meinen Augen gut zusammen. Kurz und knapp: Unter der Führung von Pol Pot wollten die Khmer-Rouge-Kommunisten gewaltsam eine klassenlose Agrargesellschaft errichten. Dabei brachten sie zwischen 1975 und 1979 rund 1,7 bis 2 Millionen Menschen um (etwa ein Viertel der gesamten Bevölkerung!). Besonders Intellektuelle, Angehörige von Minderheiten und politisch Andersdenkende wurden ins Visier genommen. Schon das Tragen einer Brille konnte als Indiz für Bildung gewertet werden und somit zu Strafarbeit oder gar zur Hinrichtung führen. Dies geschah meist auf sogenannten „Killing Fields”, also offenen Flächen, auf denen Massengräber ausgehoben und die Opfer umgebracht wurden.
Eine Geschichte, die unter die Haut geht
Ein ebensolches Killing Field haben Marius, Bruno und ich in der Nähe von Phnom Penh besucht. Andri war vor einigen Jahren bereits dort und wollte nicht noch einmal mitkommen. Das ist verständlich, denn der Besuch war ähnlich bedrückend wie der eines Konzentrationslagers. Was den Besuch aber noch schlimmer machte? Irgendwann lief diese Tötungsmaschinerie so rasant, dass der Aushub der Gräber nicht mehr Schritt halten konnte. Die Gräber wurden also zunehmend untiefer. Bis heute werden deshalb bei starkem Regen Knochenteile aus dem Boden gewaschen. Deshalb kann man auf dem Besuchergelände immer wieder Kleidungsfetzen oder Knochenfragmente entdecken. Reisen ist eben nicht immer nur schön.
Schule des Schreckens
Viel mehr setzte mir jedoch der zweite Besuch an diesem Tag zu. Unser Guide brachte uns zu einer ehemaligen Schule inmitten der Stadt, dem sogenannten „Prison 21”. Hier liess Pol Pot, dessen Pseudonym sich aus den Worten „politisches Potenzial” ergab, die Opposition und Abtrünnige aus den eigenen Reihen verhören und foltern. Die Schule wurde für diesen Zweck umfunktioniert. Anstelle von lernenden Kindern, die auf das Ertönen der Pausenglocke warteten, bangten in diesen leergeräumten Klassenzimmern Gefangene vor ihrer nächsten Foltersitzung. An einer Wandtafel waren noch immer die Benimmregeln für die Insassen zu lesen. Das allein war schon schwer zu ertragen. Dass die Wände auch noch bestückt waren mit Schwarz-Weiss-Fotos der hingerichteten letzten Insassen, raubte jeglichen Raum für Beschönigungen. Aufgenommen wurden die Bilder von einem Fotojournalisten, als das Gefängnis nach dem Untergang des kommunistischen Regimes entdeckt wurde. Wie das eben so ist mit schlimmen Szenen: Man schaut unweigerlich hin und starrt die leblosen Körper viel zu lange an. Den Besuch würde ich allen Kambodscha Reisenden empfehlen, auch wenn ich mir das kein zweites Mal anschauen möchte. Ich verstehe Andri.
Palmen, Psytrance und Plankton
In Kambodscha würde ich allerdings sofort wieder auf die Insel Koh Ta Kiev fahren. Das winzige Eiland beherbergt eine Handvoll Restaurants und noch weniger Hotels. Direkt am Strand, umgeben von Palmen, fand ein Psytrance-Festival statt. Wir sind beide keine Fans dieser Musik, aber dafür ist eine Weltreise ja auch da: um Neues auszuprobieren. Nachdem wir uns von Marius und Bruno verabschiedet hatten, reisten wir also spontan für vier Tage auf die Insel vor dem Festland. Das Festival an sich war … eigentlich ganz spannend, auch wenn wir uns gewünscht hätten, häufiger das Rauschen des Meeres anstelle der schnellen Rhythmen zu hören. Neben unserem schönen Hostel mit einem offenen Schlafsaal mit Meerblick war unser absolutes Highlight das nächtliche Baden mit unglaublich stark leuchtendem Phytoplankton. So schnell werden wir die Tage auf der paradiesischen Insel nicht vergessen.
Backpacken in Kambodscha: grosse Eindrücke, kleines Land
Kambodscha hat sowieso einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen. Die vielfältige Mischung aus spannender und berührender Geschichte, schöner Natur und interessanten Tourismusprojekten ist für ein so kleines Land beeindruckend. Zudem war es um einiges günstiger als die Philippinen. Für 5 CHF übernachtet man hier in einem schönen Hostel mit Pool oder bekommt ein einfaches, aber leckeres Abendessen für zwei Personen (nur Aktivitäten sind vergleichsweise teuer).
Erkenntnisse von Weltreisenden
Die Tage mit Bruno und Marius, die uns für eine vergleichsweise kurze Zeit begleitet haben, haben uns zwei Dinge merken lassen.
- Nach über einem Jahr Weltreise sind wir absolut zufrieden, sechsmal in dasselbe Restaurant zu gehen. Auch wenn es einfach gehalten ist, für Asien typisch auf bunten Plastikstühlen. Solange es günstig und lecker ist. Das ist ein winziges Stück hochgeschätzte Routine und bewährte Qualität in einem Lebensalltag, der von Veränderung und Neuem geprägt ist. Während normale Kurzferien für uns undenkbar sind.
- Zwischen all den tollen Dingen, die wir in Kambodscha erlebt haben, denke ich am liebsten an all jene Momente zurück, in denen wir zusammen waren, uns unterhielten und Karten spielten. Es ist schön zu sehen, wie wenig es braucht, um zufrieden zu sein. Ja, ja, ich höre schon, wie der eine oder andere das jetzt liest und sich denkt: „Das lässt sich gut sagen, wenn man schon so lange reist.“ Und das ist okay. Marius meinte übrigens, dass wir entspannter laufen, als noch vor der Reise. 🙂

Nach Kambodscha ging es für uns mit dem Überlandbus weiter nach Laos. Was wir dort alles unternommen und gesehen haben, verrate ich euch im nächsten Blogbeitrag.