Reisebericht: Russland Transit mit dem Camper

Km 13'503 - 14'236: Die Geschichte von einem grossen Problem und Frauenvorteilen

von Nadja Osterwalder
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Camper in Russland während Transit Reise

Für unsere Reise in die Mongolei mussten wir uns entscheiden: nördlich durch Russland oder südlich durch den Iran. Wir wählten den ersten Weg, ein Russland Transit mit dem Camper. Obwohl wir uns durch das aktuelle Weltgeschehen in dieser Entscheidung bestätigt fühlten, wussten wir nicht so recht, was uns erwarten würde und waren etwas angespannt vor unserem Transit durch Russland nach Kasachstan. Die zwei Tage waren voller Überraschungen.

Grenzerfahrung: Fahrt ins Ungewisse

Die Einreise von Georgien nach Russland war zeit- und nervenaufreibend. Um dem grossen Ansturm zu entgehen, standen wir schon vor 5 Uhr an der Grenze. Geholfen hat es nicht. Vor uns standen bereits etwa 200 Autos und so warteten wir. Es sollte der bisher langsamste Länderwechsel werden. Ich war etwas nervös vor dieser Grenze und die aufgeheizte Stimmung und das Gedränge in der fast komplett stehenden Kolonne halfen auch nicht. Immer wieder wollten fremde Männer unsere Autotüren öffnen, wohl um uns zu sagen, dass wir niemanden durchlassen sollten. Gohts no? Ach ja, und direkt vor unserem Auto wäre es fast zu einer Schlägerei gekommen.

Willkommen in Russland: Nur freundliche Gesichter

An der Grenze selbst war die Stimmung wesentlich entspannter. Die Zöllner waren durchwegs freundlich und respektvoll. Von den erwarteten Vorbehalten, weil die Schweiz auch zu den «unfreundlichen Staaten» gehört, war nichts zu spüren. Wir fühlten uns willkommen. Das kann ich von keiner meiner Einreisen nach Amerika behaupten… Ein Zöllner fragte nach dem Grund unserer Reise und schaute traurig, als wir ihm sagten, dass wir Russland nur auf dem Weg nach Kasachstan durchqueren. Auf die Frage, warum wir nicht mehr Zeit hier verbringen wollten, verwiesen wir auf die knappe Zeit und unser begrenztes Visum… Er antwortete wie ein kleiner enttäuschter Junge, dass alle Europäer nur durchfahren und sein Heimatland doch so viele schöne Ecken hätte. Er tat mir aufrichtig leid.

Russland Transit mit dem Camper: Grosses Problem und kleine Vorteile

Als es darum ging, das Innere unseres Campers zu kontrollieren, sagte derselbe Beamte, dass dies ein «grosses Problem» sei. Nicht etwa, weil wir illegale Waren transportierten, sondern weil die möglichen Verstecke in einem so grossen Auto seine Motivation zum Durchsuchen überstiegen. Und so warteten wir und alle Autos hinter uns bis zum Schichtwechsel. Zu Beginn unserer Reise dachte ich übrigens, dass es ein Nachteil sei, dass unser Auto auf mich als Frau zugelassen ist und ich somit immer diejenige bin, die über die Grenze fahren muss. Tatsächlich stellt sich aber immer wieder heraus: Wenn Andri nicht dabei ist, werde ich oft weniger (genau) kontrolliert und geniesse manchmal sogar eine Sonderbehandlung, werde z.B. von anderen Autofahrern in der Schlange vorgelassen oder wiederum kaum beachtet (was an so einer Grenze auch immer wieder vorteilhaft ist).

(Sprach-)Grenzen überwinden: Mit deutscher Hilfe zum Erfolg

Zuletzt galt es, an der Grenze ein temporäres Einfuhrdokument auszufüllen, das wir dank deutscher Reisender, die schon einen ganzen Tag an der Grenze festsassen, fehlerfrei ausfüllen konnten. Laut verschiedenen Quellen braucht man dafür immer drei bis vier Anläufe und erneut viel Schlangestehen, Drängeln ertragen, bis man selbst endlich andere überholt hat. Bei uns hat es auf Anhieb geklappt. High Five!

Frau füllt Imprtdokumente am russischen Zoll aus
Nicht ganz einfach: Ausfüllen der temporären Importdokumente

Wo liegt Tschetschenien noch mal?

Als wir endlich im Land waren, lief alles unspektakulär. Aufgrund der Hitze, ca. 37 Grad, und mehrerer Terroranschläge beschlossen wir, zwei Tage bis zur kasachischen Grenze durchzufahren.

Ich muss zugeben, dass ich erst unterwegs realisiert habe, dass wir durch Tschetschenien fahren. In meiner Vorstellung war das irgendwo in Sibirien. Wie ich es gemerkt habe? Plötzlich hingen an jeder Ecke gerahmte Bilder von Putin und Kadyrow, der spätestens seit 2022 weltweit bekannt ist. Aber auch sonst sahen ihm in dieser Region extrem viele Männer auf der Strasse ähnlich. Aber ehrlich gesagt war das neben den Autokennzeichen auch das einzige, was verriet, dass wir jetzt in Russland waren. Wobei ein krasser Unterschied zu allen besuchten Ländern (insbesondere Georgien) war auch, wie gut sich alle an die Verkehrsregeln hielten. Ausserdem passierten wir auf den ca. 700 km fünf Polizei- und Militärkontrollen. Man wollte unsere Papiere sehen und einen kurzen Blick ins Innere werfen. Alle Polizisten und Soldaten waren freundlich und lediglich neugierig, was zwei Europäer in Russland wollen.

Besuch im Supermarkt: Unerwartet vertraut

Und weil unser Besuch so kurz war, wurde ein Besuch im Supermarkt zu einem unserer Höhepunkte. Avocados und Bratspeck liessen mein Herz höher schlagen. Es sind eben wirklich die scheinbar kleinen Dinge, die einem am meisten Freude bereiten können. Erstaunt waren wir auch, praktisch alle grossen westlichen (vor allem amerikanischen) Marken wie Nestlé, Coca Cola und Co. zu finden. Nur McDonalds scheint es in Russland nicht mehr zu geben. Zwar gibt es Filialen, die verdächtig nach dem Fast-Food-Giganten aussehen, aber Schriftzug und Logo passen nicht. Vielleicht war das vor ein paar Monaten noch anders? 😉

«Lei viene dalla Svizzera? Parla italiano?»

Als wir am dritten Tag an der kasachischen Grenze ankamen, staunten wir nicht schlecht, als uns ein junger russischer Zöllner fragte, ob wir aus der Schweiz kämen. Auf Italienisch wohlgemerkt! Und das über 3700km von zu Hause und Italien entfernt. In den nächsten zwei Stunden erzählte er uns auf Italienisch unter anderem von seinem Berufsalltag. Gelernt hat er die Sprache auf der Lern-App Duolingo. Dass wir so lange warten mussten, lag daran, dass der zuständige Beamte gerade beim Mittagessen war und wir noch befragt werden sollten. So wurde es uns gesagt.

«Schliess die Tür ab, damit du nicht weglaufen kannst»

Zuerst war Andri dran, dann wurde ich in den umgebauten Baucontainer gerufen. Als ich eintrat, blies mir der starke Wind beinahe die Türklingel aus der Hand und der Beamte (der Kadyrow wieder sehr ähnlich sah) forderte mich auf, die Tür zu schliessen und den Schlüssel umzudrehen. Ich glaube, bei dieser letzten Aufforderung muss ich etwas verunsichert gewirkt haben. Denn er fügte hinzu: «Damit du nicht weglaufen kannst». Was mir als Frau bei einer solchen Aussage durch den Kopf ging, brauche ich wohl nicht auszuführen. Doch plötzlich brach er in ein lautes, herzliches Lachen aus und ich atmete auf. Unser «Betreuer» sprach kaum Englisch und konnte das französische Formular nicht von dem italienischen oder spanischen unterscheiden. Gemerkt habe ich das erst, als er nach mehrmaligem Durchblättern des Stapels gefragt hat, welche Sprachen ich spreche. Aus lauter Nervosität dauerte es einige Augenblicke, bis ich verstand, dass er nach dem passenden Formular suchte und mir dann ein Italienisches hinhielt, da er keine Englischen mehr hatte. Ich hatte den Stift bereits in der Hand, um es auszufüllen. Denn wer weiss, wie lange ich noch da gesässen wäre, wenn ich auf eine englische Version gewartet hätte. So viel haben wir während unserer Zeit in Ex-Sowjetstaaten bereits gelernt…

Bei dem Fragebogen handelte es sich um eine A4-Seite mit Fragen wie «Wie würdest du Russen beschreiben?» oder «Gehört die Krim zu Russland?». Beides haben wir ehrlich beantwortet, in meinem Fall also mit «gentils, curieux et serviable»  und «Je ne sais pas». Ein kurzes «Oui» wäre vielleicht besser gewesen für die zweite Frage, aber Neutralität hat uns Schweizer ja schon weit gebracht. Was mit dem handschriftlich ausgefüllten Formular passiert, wissen wir nicht. (Nachtrag: Unser zweites Russland-Visum wurde jedenfalls genehmigt.)

Als nächstes stehen uns anstrengende, lange Fahrtage durch Kasachstan bevor. Denn wir wollen auf direktem Weg nach Kirgisistan. Bis bald!

PS: Lies in der Zwischenzeit gerne die Beiträge zu den anderen besuchten Destinationen auf dem Weg nach Südostasien. Da oder direkt über diesen Link hier gelangst du auch zu unserem Reisebericht zu Georgien, das wir vor Russland besucht haben.

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